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2011: Reisebericht Tonji, Südsudan

Nach unserer Jubiläumsfeier anlässlich des 10-jährigen Bestehens von St. Lazarus-Fonds Europe wollten wir den Fortschritt der von uns unterstützten Projekte und Maßnahmen im Süd-Sudan mit eigenen Augen sehen und gleichzeitig den persönlichen Kontakt zu den handelnden Personen vor Ort vertiefen.

Wir sind am 04. Dezember 2011 um 06:55 Uhr mit KLM von Frankfurt nach Amsterdam geflogen. In Amsterdam hatten wir einen Aufenthalt von 3,5 Stunden bis zu unserem Weiterflug nach Nairobi, Kenya um 10:35 Uhr. In Nairobi kamen wir um 20:40 Uhr Ortszeit (MEZ +2) am Jomo-Kenyatta-Flughafen an. Nach einer langwierigen Einreiseprozedur mit Beantragung eines Transit-Visums für den Süd-Sudan und entsprechender Wartezeit hierauf, konnten wir nach weiteren 3 Stunden endlich unsere Unterkunft in einer kleinen Pension in der Innenstadt von Nairobi erreichen. Uns überraschte die angenehm kühle Temperatur zu dieser Jahreszeit.

Am darauffolgenden Montag, den 05. Dezember 2011, flogen wir um 08:00 Uhr von einem kleinen Stadtflughafen weiter nach Rumbek in den Süd-Sudan. Das Flugzeug war eine kleine Beechcraft, die wohl schon unzählige Flüge in Kenya und dem Sudan hinter sich hatte. Nach zweieinhalb Stunden landeten wir zu einen Zwischenstopp an einem kleinen Grenzflughafen im Norden Kenyas in unmittelbarer Nähe zur Grenze zum Süd-Sudan. Von dort ging es weiter nach Rumbek. Der Flug dauerte wiederum mehr als zwei Stunden. Am frühen Nachmittag kamen wir dort an. Die Maschine landete auf einer roten Erdpiste und unvermittelt hatten wir das Gefühl in einer anderen Welt angekommen zu sein. Am Flughafen stand ein UN-Hubschrauber, den die dort stationierten UN-Soldaten nutzten, um die immer wieder aufflackernden Kämpfe zwischen Nord- und Süd-Sudan zu kontrollieren und wenn möglich zu unterbinden. Die Einreise war gleichermaßen improvisiert wie langwierig. Die Einreisebehörde war in einem kleinen Gebäude mit einem einzigen Raum untergebracht, in dem sich ungefähr 6 Personen mit den Einreiseformalitäten beschäftigen. Der Durchlauf dauerte mit Gepäckkontrolle, Visumerteilung und Fragen nach den Gründen der Reise ungefähr zwei Stunden. Auf uns warteten zwei Priester der Diözese Rumbek mit ihren Jeeps. Vor unserer Weiterfahrt zu der Missionsstation Agangrial, nutzten die Priester noch die Gelegenheit auf dem örtlichen Markt Lebensmittel zu kaufen.

Rumbek hat den Charakter einer kleinen Provinzstadt, deswegen strömen die Menschen von den umliegenden Gebieten dort hin. Asphaltierte Straßen gibt es nicht, auch der Marktplatz war ein großer staubiger Platz. Hier gibt es das zu kaufen, was man für das tägliche Leben braucht; Nahrungsmittel, alte Fahrräder, getrockneten Fisch. Das wenige Obst war zwar kunstvoll aufgeschichtet, aber bestimmt nicht mehr ganz frisch. Uns fielen sofort die vielen Kinder und Jugendlichen auf, die überall herumliefen und offenbar keine Beschäftigung hatten. Insgesamt war der erste Eindruck zwar lebendig aber auch bedrückend. Der Schmutz und der Abfall auf den Straßen war auffällig. Zusammen mit den beiden Priestern und weiteren Mitreisenden machten wir uns dann mit den beiden Fahrzeugen auf den 4-stündigen Weg nach Agangrial. Die Erdstraße stammt noch aus der englischen Kolonialzeit. Rechts und links von der Straße liefen Menschen und Tiere. In größeren Abständen trafen wir immer wieder auf kleine Ansammlungen von Lehmhütten. Manchmal nur eine, manchmal zwei oder auch mehr. Meistens leben hier Familiengemeinschaften zusammen. Die runden Hütten sind aus Lehm-Backsteinen und tragen ein Strohdach zum Schutz gegen Hitze und Regen. Die Hütten sind in der Regel nicht größer als 10 Quadratmeter. Der Platz um die Hütten wird von den Frauen immer wieder sauber gefegt, sodass sie von oben betrachtet wie kreisrunde Scheiben aussehen. Wie man uns sagte dient das dem Zweck die zahlreichen Schlangen von der Behausung fern zu halten. In besseren Fällen waren diese Plätze mit Bambuszäunen geschützt.

Auf unserer Fahrt kam uns nur selten ein Fahrzeug entgegen. Nach etwa zwei Stunden bog unserer Fahrer plötzlich links ab und fuhr geradewegs auf das Buschland zu. Von hier ging es nur noch Querfeldein. Ab und zu tauchten ein paar Kinder auf, welche Ziegen und Rinder hüteten. Mittlerweile war es schon später Nachmittag geworden und es begann sehr schnell dunkel zu werden, da die Sonne in der Nähe des Äquators schnell untergeht. Kurz bevor sie am Horizont verschwand erreichten wir die Missionsstation Agangrial. Die Station besteht aus einfachen Häusern und befindet sich fernab jeder Zivilisation. Die Wasserversorgung erfolgt aus einem eigenen Brunnen und das Wasser wird in einen großen Wasserturm gepumpt; Abwässer werden in einem antiseptischen Tank gesammelt; die elektrische Energie wird mit Hilfe von Solarzellen auf den Dächern erzeugt, damit kann für eine kurze Zeit am Tag sogar das Internet betrieben werden. Das Leben findet zur Trockenzeit im Wesentlichen im Freien statt. Es wird sogar draußen mit Holzkohle und offenem Feuer gekocht. Grundnahrungsmittel ist Sorghumhirse, eine Getreideart, die vielfältige Verwendung findet. Gelegentlich wird ein Huhn geschlachtet; Kühe haben einen besonderen Stellenwert. Ihre Anzahl sagt etwas über die Bedeutung und das Vermögen eines Familienclans aus. Die Zimmer in denen wir untergebracht waren, sind einfach ausgestattet, aber für die dortigen Verhältnisse sauber und mit fließendem Wasser. Duschen und Toiletten waren in einem separaten Gebäude untergebracht. Um in der Dunkelheit dort hinzu gelangen musste man eine Taschenlampe unbedingt mitnehmen. In der Umgebung gibt es keine Elektrizität und deswegen auch kein Fernsehen oder Radio. Die Männer der umliegenden Siedlungen trafen sich abends außerhalb der Missionsstation zum Trommelspiel und rituellen Tänzen. Diese rhythmischen Trommeln hörte man jeden Abend bis nach Mitternacht.

Morgens wurden wir von Hyänen-Geheul geweckt. Wenn man sich nun vorstellt, dass einer der Priester bei Gründung der Missionsstation viele Monate alleine dort lebte, kann man ahnen welche Herausforderung das für jeden Einzelnen von uns dargestellt hätte. Nach unserer ersten Nacht in Agangrial brachen wir am nächsten Morgen zeitig in Richtung Tonj auf um das Dorf in dem die Lepra-Kranken leben zu besuchen. Der Tag begann mit einem Gottesdienst in der nahen Missionskirche, begleitet auch von Trommeln und rhythmischem Gesang. Es nahmen vorwiegend nur junge Leute an der Messe teil. Der Weg nach Tonj führte zunächst durch das Buschland zurück zur Hauptstraße. Von dort dauerte die Fahrt nochmal zwei Stunden. Wegen der Trockenzeit waren die Temperaturen erträglich; das Thermometer stieg zwar über 30 Grad, jedoch war die Luftfeuchtigkeit mit etwa 35% sehr gering. Unser Ziel war die Missionsstation der Salesianer, die von einem indischen Priester geleitet wird. Zu der Mission gehört eine kleine Krankenstation, in der indische Schwestern und einige wenige lokal ausgebildete Helfer ihren Dienst verrichten. Die Kranken warteten geduldig auf überdachten Bänken im Freien. Wegen der großen Hitze konnten wir das Lepra-Dorf erst am späten Nachmittag besuchen. Es befindet sich etwa eine halbe Autostunde außerhalb von Tonj und liegt schutzlos in der weiten Savanne. In der Regenzeit ist das umliegende Gebiet regelmäßig überschwemmt.

Da unser Besuch angekündigt war, warteten alle Bewohner schon ungeduldig auf unsere Ankunft. Diejenigen, die sich nicht schon auf dem großen Platz versammelt hatte, kamen aus ihren Hütten, sobald wir mit den Jeeps in das Dorf fuhren. Wir spürten sofort die Freude und Erwartungen, die mit unserem Besuch verbunden waren. Damit wir uns mit den Menschen verständigen konnten, begleitete uns ein einheimischer Übersetzer. Alle Bewohner versammelten sich unter dem einzigen Baum auf dem Platz zwischen den Häusern. Sie begrüßten uns mit Gesang und teilten uns ihre persönlichen Wünsche mit. Danach gingen wir mit ihnen in ihre bescheidenen Wohnräume, jeder von ihnen nicht größer als 8 qm groß. Dieser Raum wird nicht selten von bis zu 10 Personen genutzt. Als Geschenke brachten wir Wolldecken mit, mit denen sich die Menschen in der Nacht zudecken oder die sie als Unterlage auf dem nackten Erdboden benutzen können. Die Zimmer – soweit man davon sprechen kann – haben praktisch keine Ausstattung, alles findet auf dem Erdboden statt. Eine kleines Loch befindet sich als Toilette in einer hinteren Ecke des Raums. In jedem Gebäude sind fünf bis sechs Zimmer ebenerdig untergebracht. Damit die Menschen sich bei der großen Hitze auch einmal draußen aufhalten können, wünschen sie sich ein Vordach an ihrer Unterkunft. Gleichzeitig bietet dieses auch Schutz bei heftigem Regen. Noch vor Ort haben wir beschlossen dieses Vordach zu bauen, ebenso ein eigenes Toilettenhaus zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse. Darüber hinaus soll ein Gemeinschaftshaus errichtet werden, zur Nutzung als Schule und Raum für Gottesdienste. Vor einiger Zeit wurde der Brunnen für Wasser bereits aus Mitteln des St. Lazarus-Fonds gebaut, genauso wie ein weiteres der dort vorhandenen Wohngebäude. Der Brunnen wird auch von den Bewohnern der umliegenden Dörfer genutzt.

Wir verbrachten eine Nacht in Tonj; die dortigen Zimmer in der Mission waren in keiner Weise mit denen in Agangrial zu vergleichen. Fließendes Wasser war nicht vorhanden und in den Zimmern lauerten überall kleine und große Insekten. Im Grunde waren wir froh als die Nacht vorüber war. Unser Weg zurück nach Agangrial führte uns zu den Comboni-Missionaren in Chuibet, die dort eine technische Schule zur Berufsausbildung betreiben und praktischen Unterricht erteilen. Alle in der Diözese Rumbek tätigen kirchlichen Hilfsorganisationen und Ordensleute sind zwar häufig durch große Entfernungen getrennt, arbeiten aber dennoch zusammen an den verschiedenen Projekten in der Region.

Am nächsten Tag – Donnerstag – besuchten wir die umliegenden Siedlungen der Missionsstation. Wir wollten uns einen persönlichen Eindruck von den Lebensgewohnheiten der Einheimischen machen. Wir haben gelernt wie sie ihr Vieh halten, ihre Nahrung zubereiten und ihre Felder bestellen. In vielen Fällen leben auch die an Lepra erkrankte Menschen mit ihren Familien zusammen in diesen Siedlungen. Am Nachmittag besuchten wir ein Krankenhaus für Lepra- und Tuberkulose-Kranke, das sich auch in unmittelbarer Nähe der Missionsstation befindet. Das Wort “Krankenhaus” ist allerding in diesem Zusammenhang völlig unangebracht, da es keinen Arzt mehr gibt. Die Betreuung und Pflege wird von einer Ordensschwester mit Hilfe von lokalen Hilfskräften bewältigt. Die Kranken liegen auf einfachsten Feldbetten und sind sich weitestgehend selbst überlassen. Da geht es manchen Kindern in der näheren Umgebung schon besser. Jeden Abend findet in der Missionsstation eine Art Sprechstunde statt, in der die Priester und eine Krankenschwester, die diesen Dienst freiwillig leistet, die Kinder behandeln. Die medizinischen Kenntnisse haben die Priester erlangt, in einer Ausbildung, die sie zu ihrem eigenen Schutz und Selbstversorgung im Notfall erhalten haben. Für schwierige Fälle befindet sich das nächste Krankenhaus in Nairobi, was über eine Tagesreise mit dem Flugzeug entfernt ist.

Am Tag darauf begann unser Rückweg nach Deutschland in der gleichen Weise wie wir gekommen waren. Die Ausreise aus dem Sudan war mit den gleichen zeitaufwendigen Formalitäten verbunden wie die Einreise. Lange Wartezeiten in großer Hitze mit inbegriffen. Da wir in Nairobi erst sehr spät ankamen, ergab sich noch ein zusätzlicher Wartetag. Der Flug nach Amsterdam fand erst am späten Abend des nächsten Tages statt. In Frankfurt kamen wir Sonntag Morgens um 09:30 Uhr an.

Die Reise in den Süd-Sudan kam einer Reise in eine zurückliegende Zeit und in eine andere Welt gleich. Wir haben viele Menschen getroffen, die vielfältige Hilfe bedürfen, jedoch uns gegenüber freundlich, aufgeschlossen und neugierig waren. Wir haben festgestellt, dass unsere Hilfe auf fruchtbaren Boden fällt und es wert ist, dass sie geleistet wird. Angesichts der großen Not und der verbreiteten Armut gibt es im Süd-Sudan viel zu tun. Wie wir erlebt haben müssen viele Menschen mit nur einer Mahlzeit am Tag auskommen. Der Anteil der Bevölkerung unter 30 Jahren erreicht im Süd-Sudan etwa einen Wert von 70 Prozent. Gleichzeitig ist die Rate der Analphabeten unter den Kindern und Jugendlichen erschreckend hoch. Diese bilden wiederum das neue Fundament der noch jungen Republik Süd-Sudan. Daher messen wir der Unterstützung von Maßnahmen zur Ausbildung einen großen Stellenwert bei und sehen darin einen Schwerpunkt unserer zukünftigen Arbeit.